Gewaltfreie Kommunikation

Adultismus – Unsichtbare Machtstrukturen erkennen und überwinden

Nicole Markworth

Vielleicht ist dir das Wort „Adultismus“ noch nicht begegnet, obwohl dir das Phänomen im Alltag ständig begegnet. Adultismus beschreibt die Diskriminierung und Machtausübung von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen – ganz ähnlich wie Sexismus oder Rassismus, aber eben auf das Lebensalter und die Hierarchie zwischen „Groß“ und „Klein“ bezogen. Es geht um die Annahme, dass Erwachsene überlegen und Kinder weniger wert oder unfähig seien, für sich selbst zu sprechen, zu entscheiden oder Bedürfnisse auszudrücken.

Adultismus zeigt sich im Alltag oft in Sätzen wie „Das verstehst du sowieso nicht“, „Wenn du groß bist, wirst du das schon kapieren“ oder „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst…“. Solche Aussagen gehen weit über Erziehung oder liebevolle Führung hinaus – sie drücken eine Grundhaltung aus, die das Kind abwertet und ihm gleichberechtigte Teilhabe verwehrt.

Wie wirkt Adultismus auf Kinder?

Die Auswirkungen von Adultismus auf Kinder sind tiefgreifend und oft unterschätzt. Kinder nehmen sehr sensibel wahr, wenn sie nicht ernst genommen werden, sich immer wieder anpassen oder zurückstecken sollen. Adultistische Haltungen drücken aus, dass Kinder weniger Rechte, weniger Wissen und weniger Kompetenzen hätten – und dass ihre Gefühle oder Sorgen nebensächlich seien.

Wenn du als Kind immer wieder erfährst, dass Erwachsene besser wissen, was gut für dich ist, kann das zu einem Gefühl von Ohnmacht und geringer Selbstwirksamkeit führen. Kinder lernen, dass ihre Meinung nicht zählt, dass sie keine Kontrolle über ihr Leben haben und dass es wichtiger ist, Erwartungen zu erfüllen als sich selbst zu spüren. Das kann Unsicherheit, Selbstzweifel, Angst vor Fehlern und eine geringe Konfliktfähigkeit im späteren Leben fördern.

Auch auf körperlicher Ebene kann sich Adultismus auswirken: Kinder, die ständig übergangen oder bevormundet werden, entwickeln häufiger psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Schlafprobleme. Die emotionale Distanz, die durch adultistische Muster entsteht, verhindert eine echte, vertrauensvolle Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen.


Langfristige Folgen – Adultismus im Erwachsenenalter

Adultismus hört nicht mit dem Erwachsenwerden auf. Die Prägungen, die du als Kind erfahren hast, wirken oft ein Leben lang nach. Viele Erwachsene haben gelernt, sich selbst zu kritisieren, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen oder Konflikte zu vermeiden, weil sie nie gelernt haben, dass ihre Stimme zählt und willkommen ist.

Diese inneren Muster können dazu führen, dass Erwachsene Schwierigkeiten haben, klare Grenzen zu setzen, für sich selbst einzustehen oder in Beziehungen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Adultistische Glaubenssätze wie „Ich muss mich anpassen, sonst bin ich nicht geliebt“ oder „Andere wissen besser, was gut für mich ist“ können im Alltag blockieren – im Berufsleben, in Partnerschaften oder als Eltern gegenüber den eigenen Kindern.

Zudem besteht die Gefahr, dass adultistische Strukturen weitergegeben werden: Wer gelernt hat, dass Macht von oben nach unten ausgeübt wird, neigt dazu, im Umgang mit Kindern, Auszubildenden oder jüngeren Kolleg*innen ähnliche Muster zu wiederholen.

Wie entlarven wir Adultismus?

Der erste Schritt, um Adultismus zu entlarven, ist Selbstreflexion. Frage dich im Alltag: Wie spreche ich mit Kindern? Höre ich ihnen wirklich zu? Traue ich ihnen eigene Lösungen zu und nehme ich ihre Aussagen ernst? Adultismus tritt oft in ganz unbewussten Routinen auf – in der Sprache, in Entscheidungen über den Kopf von Kindern hinweg, im Ignorieren von Bedürfnissen oder in der Annahme, dass Erwachsene immer alles besser wissen.

Du kannst Adultismus erkennen, wenn du bemerkst, dass Kinder systematisch weniger Entscheidungsbefugnis, weniger Respekt oder weniger Raum für ihre Entwicklung erhalten. Auch das Pathologisieren von kindlichem Verhalten, das Bloßstellen vor anderen oder das Abtun von Gefühlen als „kindisch“ sind Formen von Adultismus.

Wie kannst du Adultismus ablegen?

Adultismus zu überwinden, erfordert Mut und Offenheit für Veränderung. Der wichtigste Schritt ist, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen und sie als vollwertige Menschen wahrzunehmen. Das heißt nicht, dass du keine Verantwortung mehr trägst oder keine Grenzen setzen darfst – aber es bedeutet, Kinder in ihren Bedürfnissen, Ideen und Sichtweisen ernst zu nehmen.

Folgende Ansätze können helfen:

  • Selbstreflexion: Frage dich, wie oft und in welchen Situationen du adultistisch denkst oder handelst. Was hast du selbst als Kind erlebt?
  • Kommunikation auf Augenhöhe: Sprich mit Kindern so, dass sie sich verstanden und respektiert fühlen. Erkläre Entscheidungen, höre zu und gib Raum für ihre Gedanken und Gefühle.
  • Beteiligung ermöglichen: Beziehe Kinder in Entscheidungen ein, die sie betreffen. Nimm ihre Vorschläge ernst, auch wenn du nicht immer zustimmst.
  • Fehlerkultur leben: Erlaube Kindern, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen, statt sie zu belehren oder zu beschämen.
  • Eigene Muster hinterfragen: Erkenne, wann du Macht ausübst, weil du es selbst so gelernt hast – und brich den Kreislauf bewusst auf.

Adultismus zu überwinden, ist ein Prozess, der Zeit und Geduld braucht. Aber jeder Schritt in Richtung Gleichwürdigkeit und Gleichwertigkeit lässt Kinder und dich selbst wachsen.